Kesseltalbahnprojekt Seite 5

Eine Eisenbahn durch das Kesseltal? –

Die Geschichte des Kesseltalbahn-Projektes 1904 – 1914

Von Helmut Herreiner


VIII.) Zusammenarbeit anstatt Konfrontation

 

Eine Bahnlinie aus dem Kesseltal ins Donautal über Tapfheim oder Erlingshofen nach Donauwörth kam inzwischen auch den Interessen der Städte Höchstädt, Dillingen und Lauingen entgegen, nachdem das Verkehrsministerium jeglichen Plänen von Amerdingen nach Höchstädt eine deutliche Absage erteilt hatte. Die Betriebe und Geschäfte der drei Donaustädte konnten nur so auf eine zahlreichere Kundschaft aus dem Kesseltal hoffen. Die Höchstädter Zeitung vom 31. März 1908 argumentierte jedenfalls in diesem Sinne und sah den ehemaligen Verbündeten Nördlingen nunmehr als Konkurrenten. Ohne eine Bahn im Kesseltal würden weiterhin alle oberen Kesseltaler ihre Geschäfte in Nördlingen abwickeln, wenn sie nicht gerade ein Amt in Höchstädt oder Dillingen aufsuchen müssten. Bei einer Einmündung einer Kesseltalbahn nahe Tapfheim, bei der man ebenso nach Westen wie nach Osten abbiegen könne, hätten die Bewohner des Kesseltales eine viel bessere Anbindung donauaufwärts und könnten mit den drei Städten viel mehr verkehren als bisher. Der erwähnte Artikel in der Höchstädter Zeitung schilderte die aktuellen, schwierigen Verkehrsverhältnisse: Vor allem die Retour-Verbindung nach Bissingen und ins übrige mittlere Kesseltal war schlecht, denn die Post ab Tapfheim ins Kesseltal ging damals um 3 Uhr nachmittags. Wer länger in Dillingen oder Höchstädt verweilte, musste auf Schusters Rappen 9 – 14 Kilometer laufen oder eine teure Fahrt mit einem Fuhrwerk bezahlen. Wenn die Donaustädte demnach ihre wahren Interessen richtig erkennen und vertreten wollten, so müssten sie eine Eisenbahnlinie Amerdingen – Bissingen – Donauwörth „nicht nur nicht verhindern, sondern müssen sie mit allen Mitteln fördern“, resümierte der Verfasser dieses Zeitungsartikels38).

 

 

 

Im Sommer 1908 entstand in Donauwörth eine gewisse Unruhe, weil offenbar immer mehr von einer künftigen Kesseltalbahn bis Tapfheim die Rede war. Das Kesseltalbahn-Komitee sah sich bemüßigt, am 2. August im Donauwörther Anzeigeblatt richtigzustellen, dass niemand zu befürchten brauche, Donauwörth könne zu kurz kommen. Lediglich bahnbautechnisch werde von einer Bahn Tapfheim gesprochen, weil die neu zu verlegenden Schienen möglicherweise in Tapfheim beginnen würden. Die End- und Betriebsstation bleibe Donauwörth, wie auch der Verkehrsminister in einem Gespräch mit dem Abgeordneten Giehrl ausdrücklich bestätigt habe.

 

Nur wenige Tage später wurde bekannt, dass die Eisenbahndirektion die Projektierung der Kesseltalbahnlinie bis Donauwörth zugesagt habe. Das Kollegium der Gemeinde-Bevollmächtigten aus Donauwörth wiesen daher den von der Handels- und Gewerbekammer verlangten Kostenvorschuss zur Zahlung an.

 

Wer geglaubt hatte, damit sei der Weg für den Bahnbau endlich frei, musste sich allerdings am 18. Oktober 1908 wie vor den Kopf gestoßen fühlen. An diesem Tage nämlich erschien in Donauwörth ein Aufsehen erregender Bericht, den eine Reihe von Bürgern und Umlagepflichtigen verfasst hatten. Dieser enthielt die unerwartete Behauptung, dass die Brachstädter, Oppertshofener und Kesselostheimer überhaupt keine Bahn wollten und daher nicht bereit seien, auch nur einen Pfennig für Grundablösungen herzugeben. Zudem seien sogar auch die Nördlinger bereit auf ihr bisheriges Gegenprojekt zu verzichten, wenn die Donauwörther ebenfalls auf ihre Pläne verzichten würden39). Seltsamerweise fehlen hier die sonst so zahlreichen Hinweise auf eine zu erwartende Reaktion des Kesseltalbahn-Komitees, dessen Mitgliedern dieser Bericht wie ein Schlag ins Genick vorkommen musste. Überhaupt wurde es in der Folgezeit relativ ruhig um die ganze Kesseltalbahn-Frage. Dies galt auch für das ganze Folgejahr 1909. Es erschienen keine langen Zeitungsberichte und weder das Kesseltalbahn-Komitee noch das Nördlinger Eisenbahnkomitee traten auffallend in Erscheinung. Auf eine Anfrage in München am 9. September dieses Jahres erhielt das Kesseltalbahn-Komitee lediglich die knappe Antwort, die technischen und wirtschaftlichen Untersuchungen für die Kesseltalbahn seien noch nicht abgeschlossen40). Im März des Jahres 1910 kam allerdings wieder Bewegung in die ganze Angelegenheit. Überraschend gingen Meldungen durch die Lokalpresse, dass die beiden bisherigen Kontrahenten Donauwörth und Nördlingen in der Bahnfrage zusammenarbeiten wollten. „Ein gemeinschaftliches Zusammenwirken aller Beteiligten im gemeinsamen Interesse dürfte geboten sein“, schrieb das Rieser Volksblatt am 14. März41). Auch in Donauwörth stellte man sich auf den Standpunkt, dass nichts dagegen spräche, wenn die neue Industriebahn auch nach Nördlingen weiterführe, wenn auch die ursprünglichen Absichten durch eine Bahn im Kesseltal selbst genügend realisiert wären. Am 3. April 1910 war für viele Beobachter überraschend zu lesen, dass die höchste Landesbehörde die Bauwürdigkeit der neuen Bahn anerkannt habe und ein generelles Projekt für eine Bahn von Donauwörth nach Amerdingen und von dort weiter nach Nördlingen habe herstellen lassen. Jedoch bestünden Bedenken, weil gerade das letztgenannte Stück große Schwierigkeiten und bedeutende Kosten verursache42).

 

Eine gemeinsame Versammlung des Kesseltalbahnkomitees und des Nördlinger Eisenbahnkomitees fand am 10. April 1910 in Bissingen statt. Erschienen waren dazu auch die beiden Landtagsabgeordneten Ganzenmüller und Giehrl. Letzterer erklärte, dass das Verkehrministerium wegen der derzeitigen schlechten Eisenbahnrente nur ungern und mit großer Vorsicht an den Bau neuer Bahnen heranginge43). Ungeachtet dessen habe die Staatsregierung bei ihrer letzten Beratung eine Bahn ins Kesseltal wohlwollend beurteilt und die generelle Projektierung eingeleitet, allerdings nur wegen des Trassreichtums. Bei einem geschätzten Kostenaufwand für eine Kesseltalbahn von etwa 3 Millionen Mark müssten sich alle tangierten Gemeinden rasch entschließen für die Grunderwerbungskosten mit aufzukommen und finanzielle Opfer zu leisten. Hofrat von Reiger und der Vorstand des Handelsgremiums Nördlingen, Lederfabrikant Marx, verwiesen ein weiteres Mal auf die finanziellen Vorleistungen der Stadt Nördlingen, die für Grunderwerbungen bis zu 70.000 Mark zur Verfügung stellen wolle. Kommerzienrat Johann Scheidemandel aus München hielt ein Plädoyer für die wirtschaftliche Nutzung des Trassgesteins. Deutlich wurde bei dieser Bissinger Versammlung, dass die alten Zwistigkeiten begraben sein sollten. Eine gewisse Aufbruchstimmung war nach einer langen Phase der Stagnation spürbar und wurde vom Bissinger Pfarrer Martin Offinger auch in poetische Worte gefasst. Dazu passte auch ein Telegramm von Verkehrsminister Frauendorfer, das Ludwig Auer tags darauf erhielt. Der Minister wäre, so telegraphierte er, hocherfreut, wenn die Herstellung einer Bahnverbindung zwischen Nördlingen und Donauwörth durch das Kesseltal nicht an der Rentabilitätsfrage scheitern würde44).

IX.) Warten auf die Ergebnisse der Trass-Untersuchungen

 

Nun dauerte es wieder einige Monate, bis sich etwas Neues tat. Am 11. Mai 1911 fand in Amerdingen eine Sitzung des Nördlinger Eisenbahnkomitees statt. Schon kurz zuvor veröffentlichte das Nördlinger Anzeigeblatt eine positive Antwort der Deutschen Steinwerke aus Eltmann auf eine Anfrage des Nördlinger Magistrates bezüglich der Verwendung von Trassmehl aus dem Kesseltal45). Die Deutschen Steinwerke schrieben zurück, dass die Verwendung dieses Trassmehles lediglich wegen der hohen Transportkosten des Rohmaterials keine großen Fortschritte gemacht habe, dass jedoch gegen dessen Qualität im Vergleich zum rheinischen Trass keine Bedenken mehr bestünden. So spielten nunmehr laut den in der Zeitung wiedergegebenen Aussagen des Nördlinger Bürgermeisters, Hofrat von Reiger, die Grunderwerbungskosten die Hauptrolle beim Bau einer Lokalbahn. Diese beliefen sich nach den Nördlinger Berechnungen auf 267.000 bis 280.000 Mark bis Amerdingen, wobei sich alle Gemeinden, die im Nördlinger Eisenbahnkomitee vertreten waren, „zu weitgehenden Opfern“ bereiterklärt und bereits 65.000 Mark zugesichert hätten. Nachdem die Stadt Nördlingen bereits die Kosten der generellen Projektierung bezahlt habe, sichere sie auch für die Kosten des Grunderwerbs durch den Wald der fürstlichen Grundherrschaft Oettingen-Wallerstein eine Summe von bis zu 50.000 Mark als ihren Beitrag zu. Zudem hätten der Distrikt Nördlingen noch 20.000 Mark und die Deutschen Steinwerke Vetter aus Eltmann 5.000 Mark als Zuschüsse in Aussicht gestellt. Somit stünden bereits 140.000 Mark zur Verfügung, zu denen noch 6.000 Mark als Waldentschädigung durch Nördlingen kämen. Für die Trasse Nördlingen – Amerdingen fehlten nach der Rechnung des Nördlinger Bürgermeisters lediglich noch 22.000 bis 35.000 Mark. Wenn nun auch das Eisenbahnkomitee Donauwörth mit den Gemeinden von Unterringingen an talabwärts die Grunderwerbungskosten sichern könne, dann könnte man mit einer Petition an die Staatsregierung herantreten.

 

Das Donauwörther Kesseltalbahnkomitee berief für den 25. Juni 1911 eine Versammlung im fürstlichen Bräuhaus in Bissingen ein, was vielen Nördlinger Eisenbahnbefürwortern reichlich spät erschien, denen die Zeit unter den Nägeln brannte. Dass es in der Tat nicht so sehr eilte, bestätigte eine Entschließung des Königlichen Staatsministeriums für Verkehrsangelegenheiten vom 9. Juni, die in Nördlingen einging und in der es hieß: „Die Erbauung einer Kesseltalbahn kann erst dann in Frage kommen, wenn die Untersuchung über die Entwicklungsfähigkeit einer im Kesseltal einzurichtenden Trassindustrie und die Rentierlichkeit des Bahnunternehmens zu einem günstigen Ergebnis führen sollten. Die Versuche über die Verwendbarkeit des Kesseltaltrasses, die der Landesgewerbeanstalt in Nürnberg im August 1910 übertragen wurden, können voraussichtlich im September ds. Js. abgeschlossen werden. Vorarbeiten über die Grunderwerbung wären verfrüht.“46) Wer also angesichts der oben aufgeführten Berechnungen des Nördlinger Bürgermeisters die Bahn zumindest von Nördlingen bis nach Amerdingen bereits vor seinem geistigen Auge gebaut sah, musste sich jäh zurückgepfiffen fühlen.

 

Am 20. Juni spätestens wurde dies auch den Bewohnern des mittleren und unteren Kesseltales und den Donauwörthern Eisenbahnfreunden klar, denn an diesem Tag veröffentlichte die Vorstandschaft des Kesseltalbahn-Komitees neben der Einladung für den 25. Juni nach Bissingen eine aktuelle Stellungnahme zur Bahnfrage, die unter anderem folgende Aussagen enthielt: „Es wird nun schon jahrelang unablässig dafür gearbeitet, eine Eisenbahn ab Donauwörth durch das Kesseltal zu bringen. Dabei musste das Bahn-Komitee gleich anfangs einsehen, dass diese Bahn nur dann erbaut werden kann, wenn es gelingt, in das Kesseltal irgend eine bedeutende Industrie, also einen neuen, vergrößerten Verkehr, zu bringen. Aus den bestehenden Verhältnissen lässt sich die Rentabilität einer Bahnlinie nicht heraus rechnen. Die Gegend ist zu wenig bevölkert und der Personen- und Güterverkehr wäre zu gering. Nach den traurigen Erfahrungen, welche man in Bayern mit vielen Lokalbahnen gemacht hat, von denen sich manche kaum mit 1 Prozent verzinsen, sind die maßgebenden Behörden sehr einsichtig geworden.“47) Anschließend wurden noch einmal ausführlich die geologischen Untersuchungen und die Trass-, Kalk- und Tonfunde im Kesseltal sowie die Entdeckung der Quellen bei Bissingen rekapituliert und festgestellt: „Die schwierigen, monatelangen Trassstudien durch tüchtige Fachleute, namentlich durch den bewährten vollverlässigen Chemiker Dr. Sieber, machten große Kosten, beanspruchten viele Geduld, wurden aber schließlich durch die besten Erfolge gekrönt. Es wurde unserseits mit aller Bestimmtheit nachgewiesen, dass der Kesseltal-Trass m i n d e s t e n s e b e n s o g u t, ebenso technisch wertvoll ist, als die weltberühmten, rheinischen Trasse. Es wurde von uns ebenso unwiderlegbar nachgewiesen, dass dieser unser Trass schon zu Römerzeiten und in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts als heute noch unverwüstliches Baumaterial gebraucht worden ist. Ein leicht erklärliches Unglück in dieser unserer Trassbestrebungen war, dass die vom Königlichen Staatsministerium angeordneten Versuche der bayerischen Bauämter vielfach ungünstig ausgefallen sind. Der einzige Grund hiefür liegt in dem Umstand, dass der Trassmörtel nur bei vollständig r i c h t i g e r Behandlung seine vorzüglichen Wirkungen äußert. Durch die erwähnten Misserfolge wurde die höchste Landesstelle veranlasst,

 

n o c h m a l gründliche Untersuchungen und Proben durch das Landes-Gewerbe-Museum in Nürnberg zu veranstalten. Diese Versuche dauern nun schon viele Monate und werden wahrscheinlich erst im kommenden September beendigt. V o n d e m R e s u l t a t d i e s e r U n t e r s u c h u n g e n hängt das Urteil des V e r k e h r s m i n i s t e r i u m s über die Kesseltal-Eisenbahn ab. So lange die Trassmörtel-Frage nicht definitiv gelöst ist, so lange gibt es k e i n e E n t s c h e i d u n g der Kesseltal-Bahnfrage. Wir müssen uns zur Zeit mit guten Hoffnungen für eine glückliche Lösung jener für unsere Gegend und für das ganze Vaterland äußerst wichtigen Frage trösten, müssen uns aber für alle Fälle ... rüsten. Für u n s steht die Verwendbarkeit dieses Trasses fest und wir werden die Flinte fürwahr nicht ins Korn werfen. Unterdessen werden wir auch die Vorarbeiten bezüglich der Verwendung der Kalk- und Tonlager im Kesseltal unermüdlich fortsetzen und aus allen Kräften für die Ausnützung der glücklichen Resultate der Quellenbohrung bemüht sein, die ein Bissinger Quellen-Konsortium mit großen Opfern gefunden hat.“ An die Adresse der Nördlinger Eisenbahnfreunde gerichtet heißt es in dieser Stellungnahme: „Wir ... lassen uns nicht zu unberechtigten, nutzlosen, verfrühten, übereilten Schritten bewegen. Haben wir doch für die innere, sachliche Förderung unserer Kesseltal-Bahnfrage Arbeit und Opfer genug, so dass uns weder Zeit noch Luft bleibt, j e t z t n o c h unbegründet vielleicht angebliche Aufregungen und Arbeiten dazu zu übernehmen. So werden wir uns auch dem Vorgehen des Nördlinger Bahn-Komitees nur unter Wahrung unseres Standpunktes anschließen, in der Ansicht, dass demselben teilweise z u r Z e i t n o c h die innere, sachliche Begründung fehlt. Wir wünschen nur vom ganzen Herzen, dass das bezeichnete Komitee sich noch weiter unsern Ansichten und unsern inneren Bemühungen in der gemeinsamen Bahnfrage sich nähert, wie es sich bisher schon denselben mehr und mehr angeschlossen hat.“ Wieder einmal, so scheint es, beanspruchte das Donauwörther Kesseltalbahn-Komitee relativ unverhüllt die Meinungsführerschaft in der Frage, wie in der Bahnfrage taktisch am besten vorzugehen sei, und kritisierte den Aktionismus der Nördlinger Seite. Ganz vereint, wie nach dem März 1910 zu hoffen war, marschierte man eben doch nicht, was im Übrigen vermutlich auch im Verkehrsministerium bekannt war. Die bereits zitierte Entschließung des Ministeriums vom 9. Juni, wonach Verhandlungen über eine Grunderwerbung verfrüht seien, stützte allerdings die Argumentation des Kesseltalbahn-Komitees gegenüber den Plänen des Nördlinger Bürgermeisters.

 

Die Versammlung in Bissingen bestätigte im Wesentlichen die bereits geäußerte Sicht der Dinge. Die offiziellen Versuche mit dem Trassgestein durch die staatlichen Stellen mussten misslingen, da diesen der Trass unbekannt sei, wurde geäußert. Falls die von der höchsten Landesstelle angeordneten neuen Untersuchungen günstig ausfielen, werde die Bahn gebaut. Demnach heiße es jetzt: „Warten und rüsten!“ Alles Drängen, alle Eingaben, alle Bemühungen für Grundablösungen hätten momentan keinen Wert. Erfreulich sei, dass sich das Nördlinger Komitee mehr und mehr auf den Donauwörther Standpunkt stelle und Hand in Hand mit den Donauwörthern vorzugehen versuche. Der Landtagsabgeordnete Giehrl, der in Bissingen ebenfalls wieder anwesend war, bekräftigte das Gesagte mit den Worten: „Ohne Trass keine Bahn!“48)

 

Ende Juli 1911 kam es jedoch offensichtlich wieder zu Unstimmigkeiten zwischen den beiden Bahnkomitees, weil Zeitungsmeldungen zufolge Donauwörth für eine Industriebahn war, wogegen Nördlingen für eine Lokalbahn plädiere. Die Öffentlichkeit erwarte aber eine Einigkeit der beiden Komitees49).

 

X.) Aufgeben kommt nicht in Frage

 

Die für September angekündigten, mit großer Spannung erwarteten Untersuchungsergebnisse aus Nürnberg ließen auf sich warten. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel schlug dann allerdings das Resultat der amtlichen Untersuchungen ein, das dem Kesseltalbahn-Komitee vom Verkehrsministerium in einem vom 16. Oktober datierten, von Verkehrsminister von Frauendorfer persönlich unterzeichneten Schreiben mitgeteilt wurde. Das Ministerium schrieb: „Die von der Bayerischen Landesgewerbeanstalt in Nürnberg auf Kosten der Staatseisenbahnverwaltung ausgeführte Prüfung von Kesseltaltrass ist in der Hauptsache vollendet. Für einige, 90 Tage zu lagernde Probekörper, deren Untersuchung im Laufe des Sommers nachträglich angeordnet wurde, stehen zwar die Ergebnisse noch aus; sie können aber das Gesamtergebnis kaum mehr ändern. Aus den umfangreichen Versuchen geht hervor, das der Kesseltrass als Zuschlagstoff zu Mörtel oder Beton nicht nur keine Vorteile bietet, sondern in vielen Fällen schädlich wirkt. Für die Entwicklung einer Trassindustrie im Kesseltal bleibt somit nur der Trass-Baustein übrig. Da aber seine Gewinnung durch die bedeutenden Abraummassen sehr verteuert wird, da ferner mit dem scharfen Wettbewerb der Granit-, Sand- und Kalksteine, die in zahlreichen an das Bahnnetz angeschlossenen Brüchen gewonnen werden, dann der künstlichen Steine und des Betons gerechnet werden muss, sind die Aussichten auf eine nennenswerte Ausfuhr von Trassbausteinen sehr gering. Die Voraussetzung, von der die Bauwürdigkeit einer Kesseltalbahn in erster Linie abhängig ist, nämlich die Entwicklungsfähigkeit einer im Kesseltal einzurichtenden Trassindustrie, ist sohin nicht gegeben. Ich bin daher nicht in der Lage, dem Bahnbau näher zu treten.“50)

Diese eindeutige Absage aus München musste in Donauwörth, in Nördlingen wie im Kesseltal wie ein Schlag ins Gesicht all der Männer wirken, die über Jahre hinweg einen Großteil ihrer Energie sowie viel Zeit und Geld aufgewendet hatten, um das Ziel einer Bahn im Kesseltal zu erreichen. Anstatt konsterniert zu sein und die Absage als endgültig zu nehmen, demonstrierten beide Komitees nun Einigkeit und Kampfeswillen. Bereits einen Tag nach dem Bekanntwerden des Ministerschreibens hieß es in einem Pressebericht,

 

dass das Königliche Verkehrsministerium so viel Interesse für den Kesseltaler Trass und für die Kesseltalbahn gewonnen habe, dass es 10.000 Mark aufwendete, um die bisherigen privaten Versuche durch offizielle Untersuchungen bestätigen zu können. Diese über ein Jahr dauernden Untersuchungen der Landesgewerbeanstalt Nürnberg hätten nunmehr das Urteil ergeben, dass der Kesseltaltrass unbrauchbar sei. Ungeachtet dessen sei die Überzeugung vom Wert des Trasses vor Ort nicht begraben. Es käme demnach nicht in Frage die Bestrebungen auf eine Bahn aufzugeben!51)

 

Es ist aus heutiger Sicht schwer zu beurteilen, aus welchen Gründen die Anstalt in Nürnberg zu einem so niederschmetternden Resultat bei ihren Untersuchungen des Kesseltaltrasses kam. Zumindest als Baustein hatte sich dieser Trass ja seit Jahrhunderten im und um das Ries bis hin nach Augsburg bewährt. Ob die Abraumproblematik eine größere als bei anderen Gesteinsarten oder in anderen Abbaugebieten darstellte, kann ebenfalls nicht beurteilt werden.

 

Ludwig Auer jedenfalls erhielt in diesen Tagen einen Brief, der in gewisser Weise Aufschluss gibt, andererseits weitere Fragen aufwirft. Dr. Wilhelm Sieber, der im Auftrag des Kesseltalbahn-Komitees bereits viele Trass-Untersuchungen vorgenommen hatte und stets zu ermutigenden Ergebnissen gekommen war, der sogar Publikationen über den Nutzen des Kesseltal-Trasses verfasst und herausgegeben hatte, schrieb an Direktor Auer am 17. Oktober 1911, er habe den Obergutachter in Nürnberg, einen Professor Hager, persönlich aufgesucht. Nach dessen Ansicht sei das Trassmaterial des Kesseltales untauglich und man könne mit anderen Materialien auf billigere Weise bessere Resultate erzielen. Es habe sich bei diesem Gespräch dann herausgestellt, dass Kommerzienrat Scheidemandel den zu untersuchenden Trass geliefert habe, dieser aber zugleich als Industrieller in der Trasskommission gesessen wäre – eben jener Scheidemandel, der in Donauwörth eine Trassmühle hatte errichten lassen52). Dr. Sieber äußerte in seinem Brief an Ludwig Auer schwere Vorwürfe gegenüber Scheidemandel. Demnach habe dieser unverständlicherweise Fronhofener Trass, der lediglich von der Oberfläche stammte und zudem mindestens ein Vierteljahr im Freien gelegen war, für die Versuche gemahlen und eingeschickt. Nun halte er, Sieber, aber Scheidemandel nicht für einen so unklugen Geschäftsmann, dass dieser das in die Untersuchungen gesteckte Geld in den Wind hauen wolle. Somit müsse dessen Vorgehen ein beabsichtigtes Manöver sein. Dr. Sieber glaubte mit Bestimmtheit, dass Scheidemandel „von anderer Seite für die gehabten Auslagen schadlos gehalten wurde“. Wer hinter dieser Bestechung indes stecken sollte, darüber ließ sich Dr. Sieber nicht näher aus. Er beklagte vielmehr, dass er durch das Nürnberger Gutachten in seiner beruflichen Ehre schwer angegriffen sei und sein Renommee leide. Jedenfalls sei gegenwärtig an den Bau einer Bahn nicht zu denken. Nach seinen Informationen sei sich auch Minister Frauendorfer selbst völlig unklar bezüglich der Trass-Angelegenheit, da er ja die ausgezeichneten Ergebnisse eines Bauwerkes aus Trassgestein in seinem eigenen Neubau sehe.

 

Im Gasthaus „Krone“ in Donauwörth versammelten sich am 25. Oktober 1911 das Donauwörther und das Nördlinger Eisenbahnkomitee und erörterten den aktuellen Stand der Dinge. Acht Leitsätze wurden gemeinsam beraten und schriftlich festgehalten. Beschlossen wurde, „alles mögliche aufzubieten, um den Kesseltaltrass wieder zur Anerkennung und zur technischen und industriellen Verwendung zu bringen“. Dazu sollten von der Landesgewerbeanstalt in Nürnberg, von der polytechnischen Hochschule in München und vom technischen Berater des Kesseltalbahnkomitees, Dr. Sieber, neue Untersuchungen und Proben durchgeführt werden. Dabei sollten nicht nur Proben aus Fronhofen, sondern auch aus den Trasslagern von Oberringingen, Amerdingen und Bollstadt eingesandt werden53). Dies geschah in den folgenden Wochen auch unter ortspolizeilicher und beständiger notarieller Aufsicht, wie das Donauwörther Anzeigeblatt am 2. Dezember 1911 zu berichten wusste. In dem gleichen Zeitungsartikel stand auch zu lesen, dass man in der Kesseltalbahn-Frage keinen Schritt mehr machen könne, so lange die Frage nicht gelöst sei, ob der einheimische Trass als Naturzement verwendbar sei oder nicht.

 

Direktor Ludwig Auer erhielt Mitte Februar 1912 einen weiteren Brief von Dr. Wilhelm Sieber aus München54). Dieser äußerte sich sehr optimistisch („Unsere Sache steht sehr gut.“) und gab als Grund dafür an, die Nürnberger Versuche zeigten, dass die Druckfestigkeit der Kesseltaler Gesteins-Probekörper in Wasserlagerung nach 90 Tagen praktisch identisch sei mit den Zahlen, die sich auch bei rheinischem Trass ergäben. Diese Druckfestigkeit bei Fronhofer Trass habe nach 90 Tagen Luftlagerung 270 Kilogramm pro Quadratzentimeter ergeben. Bei Wasserlagerung habe man Zahlen von 342 beziehungsweise 459 Kilogramm pro Quadratzentimeter erhalten. Bei viel Anmachwasser habe der Kesseltaler Trass zwar Nachteile bei der Festigkeit nach 28 oder 60 Tagen, bei 90 Tagen indessen seien die Unterschiede ausgeglichen. Kummer bereitete Dr. Sieber jedoch, wie er schrieb, dass nach Abschluss der Versuche kein Industrieller bereitstünde, der dem Minister gegenüber die Garantie übernehme den Trass im Kesseltal auszubeuten. Die im oberen Kesseltal tätigen Deutschen Steinwerke mit ihrem Lagerplatz in Nördlingen wurden in der Zwischenzeit vom Ministerium boykottiert, weil sie beim Neubau des Verkehrsministeriums in München nicht zuverlässig genug geliefert hatten. Mit dieser Firma dürfe man laut Dr. Sieber im Ministerium „nicht kommen“. Von dem Industriellen Scheidemandel, dem gegenüber er ohnehin eine herzliche Abneigung pflegte, habe man gar nichts gehört, obwohl dieser über den Stand der Dinge informiert worden sei. Als Alternative schlug Dr. Sieber die Firma Fritz Schult aus Neuburg vor.

 

Am 21. Mai 1912 wurde im Donauwörther Anzeigeblatt eine vorläufige Bilanz der drei neuerlichen Untersuchungen in der Gewerbeanstalt Nürnberg, im mechanisch-technischen Laboratorium der technischen Hochschule in München und bei Dr. Sieber in München gezogen. Diese hatten bis dahin rund 1860 Mark gekostet. Einen finanziellen Beitrag dazu hatten die Gemeinden Bollstadt, Amerdingen, Fronhofen, Bissingen, Thalheim, Hochstein, Göllingen, Donauwörth, Nördlingen, Diemantstein, Forheim, Zoltingen, Oberringingen, Aufhausen, Hohenaltheim, Burgmagerbein, Gaishardt und Unterbissingen geleistet. Die Fürstenhäuser Wallerstein und Stauffenberg steuerten ebenfalls etwas bei. Hervor stach bei den Zahlungen allerdings der Süddeutsche Donau-Verein, der 800 Mark zahlte. Trotz alledem waren die Ausgaben noch immer höher als die Einnahmen, so dass Ludwig Auer der Trasskasse aus seinem privaten Vermögen noch 400 Mark vorstreckte55).

 

Die Kräfte bündeln, hieß nun offensichtlich die Devise bei den Bahn-Befürwortern. Vom 31. Mai 1912 datierte nämlich eine Petitionsschrift an die Kammer der Abgeordneten und die Kammer der Reichsräte in München betreffs einer Lokalbahn Donauwörth – Amerdingen – Nördlingen. Unterzeichnet hatten diese Eingabe das Kesseltalbahn-Komitee und das Nördlinger Komitee, die Donauwörther und Nördlinger Stadtmagistrate und Gemeinde-Kollegien und schließlich die Handelsgremien und Gewerbevereine beider Städte. Nach einem kurzen historischen Abriss bezüglich des Trasses und einer Zusammenfassung der Resultate der technischen und chemischen Untersuchungen stand in der Petition folgendes zu lesen: „Es handelt sich in der von uns angestrebten Ausnützung der einheimischen Trass-Schätze um einen freudigst zu begrüßenden, neuen Industriezweig, der ohne Kohlenverbrauch, hygienisch tadellos, von aller Konkurrenz frei, zu starkem Export geeignet, einem sehr großen Import an Kunstzement entgegengesetzt, von größter volkswirtschaftlicher Bedeutung ist. Es handelt sich in dieser von uns angestrebten Trassmörtel-Industrie um unerschöpfliche Mengen besten Materials in der Nähe der von uns erbetenen Bahnlinie. Von 22 Vorkommnissen im Kesseltal wurden drei von dem Geologen Dr. Endriß auf tausend Millionen Zentner leicht abbaufähigen Materials berechnet und der Riesforscher Walter v. Knebel spricht von mehreren „Quadrat-Kilometer großen“ Trasslagern am südlichen Ausgang des Kesseltals. Da es sich beim Trassmörtel um die wertvollen Abfälle in der neuestens am Verkehrsministeriums-Bau so glänzend bewährten Traß-Stein-Industrie handelt; da das Trassmehl insbesondere für Wasserbauten und Kanäle das fachmännisch –anerkannte beste Mörtelmaterial Deutschlands ist; da dieses Material in Süddeutschland, Oesterreich und der Schweiz sonst nirgends vorkommt als an unseren schwäbischen Riesrändern und namentlich im Kesseltal: steht die Rentabilität der Kesseltal-Bahn schon in bezug auf den Trass außer Frage. Deshalb haben wir in unseren Bitten um diese Bahn bisher nur vom Trass gesprochen. Doch müssen wir hier noch kurz erwähnen, dass die von uns erbetene Bahn durch außerordentlich fruchtbare Gegenden führt, deren landwirtschaftliche Produktionskraft durch den neuen Verkehrsweg bedeutend erhöht werden wird. Ferner befinden sich in unserem Bahnbezirk große, wohlgepflegte, herrschaftliche Waldungen mit reichster Ausbeute. Für Industriezwecke bietet das Kesseltal außer dem Trass große, 99prozentige Kalksteinlager, große Mengen Kalkgries und seine Tonlager. Bei Bissingen ist bereits eine in Deutschland einzig dastehende Heil- und Tafelwasser-Quelle erbohrt, durch große Autoritäten geprüft und jüngst durch eine Gesellschaft in Ausnützung genommen worden. Es weiß noch niemand welche mineralischen Schätze das Vorries im vulkanischen Kesseltal, von den Geologen das geologische Schatzkästlein Deutschlands genannt, enthält. Doch soll wenigstens das, was bisher entdeckt und untersucht und bewährt ist, nicht mehr länger liegen gelassen werden. Mögen die Hohen Kammern den bisherigen volkswirtschaftlichen Versäumnissen in unseren Bezirken durch Genehmigung der mehrbezeichneten Bahnlinie im Interesse unseres Vaterlandes endlich einmal ein Ende bereiten!“56) Dieser Schluss lässt die Ungeduld der Unterzeichner mehr als erahnen, er sollte jedoch ein frommer Wunsch bleiben. Am 16. Juni wurde nämlich im Donauwörther Anzeigeblatt veröffentlicht, dass sich die Verhandlungen hinsichtlich der Kesseltalbahn unerwartet in die Länge zögen und dass dadurch die Aufnahme der Bahn in den nächsten Lokalbahngesetzentwurf kaum mehr erfolgen könne. Wie sehr all die Verzögerungen an den Nerven der Beteiligten vor Ort zwischenzeitlich gezehrt hatten, zeigte eine neu aufflammende Auseinandersetzung, die über die Zeitungen ausgetragen wurde. Direktor Ludwig Auer gab am 20. Juni 1912 eine öffentliche Erklärung gegen „die fortgesetzten Rippenstöße durch das Rieser Volksblatt“ ab. Man habe doch, so betonte Ludwig Auer, von Seiten des Donauwörther Komitees alles Mögliche für die Anerkennung des Trasses als Baumaterial getan und könne in der Bahnfrage nichts mehr vorbereiten, was nicht bereits in den vergangenen sechs Jahren geschehen sei. Die von einigen Nördlingern so auffallend geforderten Verhandlungen bezüglich der notwendigen Grundablösungen würden seinerzeit durch die Königliche Bahnbehörde geführt. Das Königliche Verkehrsministerium selbst erließ den Bescheid, dass weitere Vorarbeiten noch verfrüht seien. Somit seien auch alle diesbezüglichen Forderungen von Nördlinger Seite gegenstandslos. Auch das im Rieser Volksblatt mehrfach zitierte „Gespenst einer Trennung unserer beiden Bahn-Komitees“ habe für die Donauwörther Seite keinen Schrecken, stellte Ludwig Auer klar. Man wolle keine Trennung, bedauere aber, dass es unter den Bahn-Interessenten Leute gebe, „die so wenig Kenntnis von dem Verlaufe unserer großen Angelegenheit beweisen und dabei so gedankenlos Irrtümer ausstreuen und Misstrauen säen.“57) Gegen diese Beschuldigungen ihrer Artikel verwahrte sich die Redaktion des Rieser Volksblattes in ihrer nächsten Ausgabe. Die „fortgesetzten Anrempelungen“ seien eine subjektive Annahme und unberechtigte Charakterisierung, die im Interesse der Sache besser unterblieben wäre58). Anschließend schienen sich die Gemüter wieder beruhigt zu haben.

 

An Ludwig Auer, der in diesen Tagen zu einer Kur im Wildbad Wemding weilte, schrieb Dr. Sieber aus München am 11. Juli, dass er zusammen mit Kommerzienrat Scheidemantel die Kesseltal-Angelegenheit dem Rektor der Technischen Hochschule, Dr. Günther, vorgetragen habe. Auch seien Abgeordnete verschiedener Fraktionen in die Sache gründlich eingeweiht worden. „Man muss wirklich sagen, dass eine Herkulesarbeit ein Kinderspiel ist, gegenüber der Aufgabe eine Behörde zu der Einsicht zu bringen, dass sie einen Fehler gemacht hat“, resümierte Dr. Sieber im Hinblick auf die Untersuchungen des Professors Hager in Nürnberg59).

 

Drei Wochen später, am 27. Juli 1912, traf die Nachricht ein, dass die Petitionen betreffs der Erbauung einer Bahn Donauwörth – Amerdingen – Nördlingen wie auch einer Bahnlinie Wemding – Fünfstetten dem Finanzausschuss der Abgeordnetenkammer in München zur Würdigung gegeben wurde. Am 31. Juli stand die Kesseltalbahn schließlich neben einer ganzen Reihe ähnlicher Projekte auf der Tagesordnung in einer Tagung der bayerischen Abgeordnetenkammer60). Als Referent fungierte Dr. Pichler von der Zentrumspartei. Dieser rekapitulierte den Stand der Dinge und wies darauf hin, dass die ersten Versuche der Bauämter infolge der falschen Behandlung des gelieferten Trass-Gesteins ein falsches Ergebnis ergeben hätten. Neue Versuche indessen hätten ein vorzügliches Resultat geliefert. Dr. Pichler erwähnte, dass die Petition aus Nordschwaben im Finanzausschuss unter dem Hinweis auf eine zukunftsträchtige Trassindustrie „sehr warm befürwortet wurde“. Auch die beiden nordschwäbischen Abgeordneten Giehrl und Lutz setzten sich in der anschließenden Diskussion im Plenum vehement für die Kesseltalbahn ein. Ihnen entgegnete jedoch Regierungskommissär Staatsrat von Endres, dass der rheinische Trass das Produkt einer unter Wasser erstarrten Schlammlava und demzufolge ein homogenes Gestein sei. Der Trass im Ries dagegen sei ein trockener, ungleichmäßiger Tuff aus unreinen Gesteinsmassen mit eingelagerten Schlacken. Es wurde bereits erwähnt, dass damals noch die Lehrmeinung herrschte, das Ries und seine Umgebung, also auch das Kesseltal, seien vulkanischen Ursprungs. Aus dem Unterschied in der Entstehung des Gesteins jedenfalls ergebe sich nach Staatsrat von Endres eine Überlegenheit des rheinischen Trasses. Diese wurde laut seinen Ausführungen auch durch das von Vertretern des Verkehrsministeriums und des Innenministeriums ausgearbeitete Versuchsprogramm bestätigt. Ob Trockenlagerung oder Nasslagerung, der rheinische Trass sei dem Kesseltaltrass überlegen und letzterer entspreche ungefähr dem Ziegelmehl, das in Norddeutschland vielfach zum Bau von Talsperren verwendet werde. Die Versuche, die das Kesseltalbahn-Komitee und der Stadtmagistrat Nördlingen in Auftrag gegeben hatten, bestätigten nur die Ungleichmäßigkeit des Kesseltaler Gesteins. Der Trass eigne sich im Übrigen ohnehin hauptsächlich für Seebauten, für Süßwasserbauten könne man auch jedes andere hydraulische Material, am besten Portlandzement, verwenden. Sollten noch andere Fundstellen mit gleichmäßig gutem Trass um das Ries entdeckt werden, so werde sich vielleicht eine Trassindustrie entwickeln und diese auch durch die Staatsregierung nach Kräften gefördert werden. Zum Schluss der Diskussion übergab man die eingereichte Petition an die Staatsregierung zur Würdigung.