Kesseltalbahnprojekt Seite 2

Eine Eisenbahn durch das Kesseltal? –

Die Geschichte des Kesseltalbahn-Projektes 1904 – 1914

Von Helmut Herreiner


I.) Einführung

 

Kaum jemand weiß, dass schon vor über 150 Jahren ernsthaft erwogen wurde, die erste Eisenbahn quer durch ganz Bayern, die sogenannte Ludwigs-Süd-Nord-Bahn, von Augsburg und Donauwörth aus durch das Kesseltal in Richtung Nördlingen zu bauen. Wie neuere Forschungen von Dr. Reinhard Jakob aus München erwiesen haben, wurde diskutiert, den ersten Donauwörther Bahnhof südlich der Wörnitz zu bauen, wo er heute auch steht. Von dort aus sollte nach einem der Entwürfe noch vor 1850 die Eisenbahntrasse weiter über Erlingshofen nach Bissingen und Nördlingen führen. So hätte man das sumpfige Gelände bei Wörnitzstein, Felsheim und Ebermergen und die Engstelle am Wörnitzdurchbruch bei Harburg gemieden. Dieser Plan einer frühen Eisenbahn durch das Kesseltal wurde letzten Endes ad acta gelegt, weil das bayerische Kriegsministerium den Donauwörther Bahnhof in der Promenade haben wollte1). Über die Gründe hierfür kann nur spekuliert werden. Dachte man in Militärkreisen an einen schnelleren Nachschubweg für Truppen gegen Preußen?

 

Vor etwa 100 Jahren tauchte dann die Idee auf, das Kesseltal durch eine Eisenbahnlinie zu erschließen, um die Trass-Steinbrüche besonders im oberen Kesseltal besser industriell ausnutzen zu können. Zunächst plante die Gemeinde Amerdingen in Zusammenarbeit mit der Stadt Nördlingen im Jahre 1904 den Bau einer Eisenbahn von Amerdingen nach Nördlingen. Dieser Plan, der noch durch eine Erweiterung von Amerdingen ins Donautal nach Höchstädt ergänzt wurde, hatte zunächst durchaus eine Aussicht auf die Verwirklichung, zumal auch der bayerische Verkehrsminister von Frauendorfer diesem Projekt anfangs recht positiv gegenüberstand. Als jedoch die Stadt Donauwörth ab dem Jahre 1906 ebenfalls eine Kesseltalbahn, jedoch ab Donauwörth über Tapfheim und Bissingen nach Amerdingen, bauen wollte, entwickelte sich rasch ein heftiger Streit vor allem zwischen Nördlingen und Donauwörth, in dem wirtschaftliche Interessen die wichtigste Rolle spielten2). Dieser Streit personifizierte sich auch in den Hauptakteuren: auf Donauwörther Seite Ludwig Auer, der Vorsitzende des dortigen Handels- und Gewerbegremiums, und auf Nördlinger Seite der Bürgermeister Hofrat von Reiger, gleichzeitig Vorsitzender des Nördlinger Eisenbahn-Komitees, sowie der Rieser Landtagsabgeordnete Dr. Schmidt.. Es folgten etliche Versammlungen in Amerdingen, Bissingen und Diemantstein, eine wahre „Propaganda-Schlacht“ in den Zeitungen und eine Vielzahl von Eingaben und Briefen an das Bayerische Verkehrsministerium. Die Städte Lauingen, Dillingen und Höchstädt formulierten ihre Bedenken gegen die Donauwörther Pläne in einem schriftlichen Protest vom 15. Mai 1907, den sie an das Verkehrsministerium in München sandten. Relativ überraschend für viele wollten die beiden Städte Donauwörth und Nördlingen ab dem Frühjahr 1910 in der Kesseltalbahn-Frage gemeinsame Sache machen. Bestärkt wurden sie dabei dadurch, dass die höchste Landesbehörde die Bauwürdigkeit einer neuen Bahn von Donauwörth bis Amerdingen und von dort aus weiter nach Nördlingen anerkannte. Als jedoch die entscheidende der aus München angeordneten physikalisch-chemischen Untersuchungen des Kesseltal-Trasses im Oktober 1911 negativ ausgefallen war, schmolzen die Hoffnungen der

 

Bahn-Befürworter rasch dahin3). Zwar bemühte sich vor allem Ludwig Auer auch weiterhin um eine Realisierung der Kesseltalbahn, doch all sein Engagement war nicht mehr von Erfolg gekrönt.

II.) Eine Eisenbahn ins Kesseltal: Eine Idee – zwei Pläne

 

Erstmals wurde im März 1904 bekannt, dass mehrere Gemeinden des Kesseltales, unterstützt von der Stadt Nördlingen, eine Eisenbahnlinie von Nördlingen durch das Kesseltal bis nach Höchstädt realisieren wollten. Für diese geplante Schienenverbindung vom Ries quer durch das Kesseltal ins Donautal boten sich aus topographischen Gesichtspunkten zwei Linien an. Zum einen war dies die Linie Nördlingen – Reimlingen – Hohenaltheim – Bollstadt – Diemantstein – Unterliezheim – Lutzingen – Höchstädt, zum anderen die Linie Nördlingen – Reimlingen – Hohenaltheim – Mönchsdeggingen – Untermagerbein – Fronhofen – Bissingen – Unterliezheim – Lutzingen – Höchstädt. Vermutlich privatrechtliche, aber auch technische Schwierigkeiten bei der Überwindung der Höhenunterschiede am Albanstieg im Südries verhinderten jedoch eine rasche Umsetzung dieser Pläne4). Im Frühjahr 1906 wurde aus Donauwörth Interesse an einer Bahnlinie von dort aus ins Kesseltal bekundet. Als Knotenpunkt hervorragender Bahnlinien sei Donauwörth für das ganze Kesseltal von größerer Bedeutung als Höchstädt, verlautete aus Donauwörth. Außerdem sei eine Bahnlinie Donauwörth – Bissingen – Diemantstein – Amerdingen das einzige Projekt, das auch Aussicht auf Verwirklichung habe. Das Donauwörther Anzeigeblatt berichtete am 11. April 1906 von einer Vorbesprechung zum Thema „Lokalbahn Donauwörth – Amerdingen“ mit etwa 50 Kesseltaler und Donauwörther Bürgern, die zwei Tage zuvor in Bissingen stattgefunden hatte. Geleitet wurde diese Besprechung von Ludwig Auer, dem Vorsitzenden des Handels- und Gewerbegremiums Donauwörth. Pfarrer Martin Offinger aus Bissingen sprach in dieser Veranstaltung davon, dass die „vom Verkehr ausgeschlossenen Kesseltaler“ eine Bahn wollten, und mahnte hierbei bereits ein einiges Vorgehen an. Auch ein provisorisches Komitee wurde bei dieser Gelegenheit gleich gewählt. Diesem gehörten unter anderem Ludwig Auer, der Donauwörther Bürgermeister Wilhelm Gebhardt, Rektor Cornelius Deschauer aus Donauwörth, die Pfarrer Gradl aus Amerdingen und Offinger aus Bissingen sowie der Besitzer der Hohenburger-Mühle bei Fronhofen, Mayer, an. Besondere Erwähnung fand in diesem Zeitungsbericht, dass ein Amerdinger Bürger namens Herold sich als ehemaliger Anhänger des Projektes Nördlingen – Höchstädt bekannte und die Undurchführbarkeit dieses Planes bedauerte5).

 

Nicht nur in Nördlingen, sondern auch in Höchstädt und in Dillingen stießen die Donauwörther Aktivitäten auf Unverständnis. Aus Dillingen verlautete, dass es nicht verständlich sei, warum Donauwörth für das Kesseltal von größerer Bedeutung als Höchstädt sei, nachdem doch die Kesseltaler üblicherweise nach Höchstädt gingen und sich dort auch die wichtigsten Behörden befänden. Auch zum Absatz der landwirtschaftlichen Produkte bräuchten die Kesseltaler keinen Knotenbahnhof wie Donauwörth. Die Zusammensetzung des in Bissingen gegründeten Komitees machte jedoch den Befürwortern des ursprünglichen Projektes rasch deutlich, dass die Donauwörther Pläne ernst zu nehmen seien. So hieß es angesichts der Einladung zu einer weiteren Versammlung am Ostermontag, dem 16. April 1906, in der fürstlichen Brauerei in Bissingen im Rieser Volksblatt am 13. April: „ Nach der allgemeinen Stimmung im Kesseltale zu diesem Projekte ist es wirklich ernst zu nehmen, dass Nördlingen und auch Höchstädt das Nachsehen haben werden, wenn sich nicht schleunigst ein weiteres, für die beiden Städte günstigeres Projekt finden lässt.“6)

 

1)       ebd., S. 25f.

2)       Donauwörther Anzeigeblatt  vom 11.04.1906

 

 

III.) Ludwig Auer als Vordenker und Ideengeber

 

Die treibende Kraft auf Donauwörther Seite zum Thema „Kesseltalbahn“ war zweifelsohne Ludwig Auer. Dieser wirkte in Donauwörth seit 1875 als Unternehmer, Pädagoge und Politiker. Das in diesem Jahr gegründete Cassianeum beschäftigte um 1900 in der Buchdruckerei, dem Knabeninstitut und der Pädagogischen Bibliothek rund 200 Personen. Daneben fand Ludwig Auer noch die Zeit, sich bis 1906 im Magistrat der Stadt Donauwörth und als Vorsitzender des Handels- und Gewerbegremiums Donauwörth, aber auch als Herausgeber des Donauwörther Anzeigeblattes und als Schriftsteller zu betätigen. Überdies wohnte ihm noch ein gewaltiger Pioniergeist inne. Das erste elektrische Licht in Donauwörth leuchtete 1894 im Haus von Ludwig Auer. Im Süddeutschen Donauverein setzte er sich federführend dafür ein, die Schifffahrt auf der oberen Donau von Ulm bis Donauwörth zu verwirklichen. Als in Bissingen der Apotheker Max Premauer 1906 zwei kohlensäurehaltige Quellen an der Kessel fand, initiierte Ludwig Auer Grabungen und Bohrungen und bereitete so der nach ihm benannten „Auerquelle“ den Weg als weithin bekannte Heilquelle. Die Auerquelle lieferte Ludwig Auer zudem ein weiteres Argument für seine Idee einer Kesseltalbahn von Donauwörth über Bissingen nach Amerdingen. In seinen Bemühungen um eine Kesseltalbahn von Donauwörth aus erwies sich Ludwig Auer einmal mehr als Pionier des Fortschritts, den wieder einmal eine Idee gepackt hatte, wie Dr. Alfred Böswald in der Festschrift zum 125-jährigen Bestehen der Pädagogischen Stiftung Cassianeum schrieb: „Die Sache fand ihren Mann, ihren Kenner, ihren Förderer7).“